„Anna Lehmann-Brauns“

Sabine Ziegenrücker

Die Bilder von Anna Lehmann-Brauns nehmen augenblicklich gefangen. Eine kühle Distanz, ein analysierendes Abwarten sind kaum möglich. Der Blick wird in die Tiefe gesogen. Die Sinnlichkeit, die Pracht und Farbigkeit packen, bewegen, reißen mit in eine Welt voll unerfüllter Sehnsüchte. Es sind Räume des Übergangs – Bahnhöfe, Hotellobbys, Bars oder Kinos – Räume einer Zwischenwelt, die Glück verheißt. Aber es ist nur ein Glück auf Zeit und es spielt nicht im Hier und Jetzt. Auf den Räumen liegt der Schleier längst vergangener Pracht.

Melancholie breitet sich aus angesichts dieser verlassenen, menschenleeren Orte. Das Leben findet inzwischen anderswo statt. Hier gibt es nur das Warten und Vergehen. Der Mensch, der hier durch seine Abwesenheit präsent ist, dessen Träume vom Glück noch zu uns sprechen, ist ein Verlassener. Als Randfigur in einer von Geschwindigkeit, Flexibilität und Funktionalität bestimmten Welt, hinterlässt er diese Bühnen des Lebens, die von radikalem Verlust und Einsamkeit erzählen. Sie sind aus der Zeit gefallen. Moderne memento mori des Großstadtnomaden stehen vor uns.

Lehmann-Brauns nennt als Grundmotiv ihrer Arbeit, die Sehnsucht nach dem Vergehenden und den Wunsch dieses Vergehende zu konservieren. Aber sie tut dies nicht als unbeteiligter Chronist, sondern widersetzt sich kraft ihrer subjektiven Empfindung dem Geist des Dokumentarischen und der Versachlichung, der lange in der deutschen Fotografie mit Bernd und Hilla Becher und ihren Schülern vorgeherrscht hat.

Licht und Raum sind die wesentlichen Gestaltungsmittel von Lehmann-Brauns Fotografie. Dabei ist das Licht immer künstlich: Straßenlaternen, Discokugeln oder die Beleuchtung einer Filmkulisse. Und auch die Räume des neuen Werkzyklus sind keine realen Räume mehr, sondern Filmkulissen einer Telenovela. Ein wenig geisterhaft wirken sie. Ein geheimnisvolles Wispern scheint sie zu durchwehen. Es sind Orte im Schwebezustand, an denen sich Erinnerung und Fantasie entzünden.