Wild Side West

Anna Lehmann-Brauns -- Wild Side West

Anna Lehmann-Brauns -- Wild Side West

Anna Lehmann-Brauns -- Wild Side West

Anna Lehmann-Brauns -- Wild Side West

Anna Lehmann-Brauns -- Wild Side West

Anna Lehmann-Brauns -- Wild Side West

Anna Lehmann-Brauns -- Wild Side West

„Grandezza mit Goldflitter“

Andreas Conrad

TAGESSPIEGEL – 11.09.2018 –

Ausstellung über die Ku’damm Bühnen – Die Fotografin Anna Lehmann-Brauns widmet den beiden Theatern in der Kommunalen Galerie Berlin eine Hommage.

Der Beifall ist verrauscht, er war lang und anhaltend, ein rhythmisches Klatschen, und selbstverständlich erfolgte er im Stehen. Ein Regen aus Goldflitter war zuletzt herniedergegangen, glitzernder Abschluss des langen Lebens eines legendären Theaterbaus. Aber nun ist es vorbei, die Schauspieler, die Zuschauer sind gegangen, vielleicht schlendern einige gerade noch durchs Foyer, nippen an einem letzten Glas der hier traditionellen Himbeerbowle, und nur die Fotografin, so scheint es, befindet sich noch im Bühnenraum, allein mit ihrer Kamera, vor sich auf dem Boden den Goldflitter, dahinter die leeren Sitzreihen, die in magischem Rot schimmernden Logen, darüber das riesige Oval des Kronleuchters.

„Letzter Vorhang“ hat die Fotografin Anna Lehmann-Brauns die am 27. Mai, nach der allerletzten Vorstellung in den alten Ku’damm-Bühnen entstandene Aufnahme genannt. So heißt auch ihre Ausstellung, die am Sonntag in der Kommunalen Galerie Berlin am Wilmersdorfer Hohenzollerndamm eröffnet wurde: „Eine Hommage in fotografischen Bildern“, wie es im Untertitel heißt, gewidmet dem Theater und der Komödie am Kurfürstendamm, die, wie berichtet, Neubauplänen weichen mussten, ein Ausweichquartier im Schillertheater gefunden haben und erst nach Abschluss des Neubauprojekts wieder an den Kurfürstendamm zurückkehren.

„Hommage“ – das Wort ist gut gewählt, denn es ist nicht eine Dokumentation des Theaterlebens auf den beiden eng verbundenen Bühnen, man sieht keine Aufführungsszenen – oder allenfalls auf Fotos, die in den von Anna Lehmann-Brauns fotografierten Räumen hingen und an frühere Sternstunden der Ku’damm-Bühnen erinnerten. So an eine mit dem jungen Harald Juhnke, wie er gerade mit einer ihn anstrahlenden Kollegin im Dienste der Schauspielkunst turtelt – eine Schwarzweiß-Aufnahme an einer Wand im Foyer, darunter zur Rechten wie zur Linken ein Polsterstuhl, wie arrangiert, während die Fotografin versichert, alles so vorgefunden zu haben.

Raum für Besonderes

Als strenge Kompositionen sieht sie ihre Fotos gleichwohl, doch meint dies kein Arrangieren der im Bild gezeigten Gegenstände, vielmehr das Komponieren mit der Kamera mittels Bildausschnitt, Perspektive, Farbe, Licht – wobei sie nie ein Sortiment von Lampen mit sich herumschleppt, vielmehr stets auf das vorhandene Licht setzt. Menschen, seien es Schauspieler oder Zuschauer, kommen bei ihr nicht vor, es sei denn, wie beschrieben, auf mitfotografierten Fotos. Räume sind ohnehin das große Thema von Anna Lehmann-Brauns, besondere Räume, die, wie sie sagt, „eine eigene Magie entfalten“, was in der Ruhe, also ohne Menschen, eben besser zur Geltung komme.

Zu den beiden Bühnen hat die Fotografin eine besondere Beziehung: In ihrer Geburtsurkunde steht als Adresse Kurfürstendamm 37, das ist gleich gegenüber. Zum Schmelz das alten Kurfürstendamms gehörten für sie Theater und Komödie ebenso wie das Bristol Café, die Diskothek „Big Eden“, ja selbst die früher dort noch präsenten Prostituierten. Das alles habe zur besonderen Stimmung des alten West-Berlin gehört.

Auf die beiden Bühnen mit ihren fantastischen Räumen habe sie Lutz Gajewski, Manager von Gayle Tufts, dazu selbst Künstler und Fotospezialist, aufmerksam gemacht, erzählt sie. Und da Gayle Tufts dem Haus durch Auftritte selbst sehr verbunden war, erhielt Anna Lehmann-Brauns über diese Verbindung die Gelegenheit, das Haus in allen, der Öffentlichkeit verborgenen Winkeln mit der Kamera zu erforschen. Über sechs Monate war sie einmal pro Woche dort, fotografierte Kulissenmodelle, die nun wie große Räume wirken, drang bis in Teeküchen und Werkstätten vor, ausgestattet mit analoger Mittelformat-Kamera und Stativ, bemüht, die Grandezza des von Goldflitter geschmückten Bühnenraums ebenso darzustellen wie die dunklen Winkel etwa in der Schlosserei, mit einem in dieser Umgebung etwas überraschenden Pin-up an der Wand.

Sie ist eben mehr interessiert an der Lichtstimmung als an einer klaren Identifizierbarkeit jedes Gegenstandes: „Es muss nicht immer alles zu sehen sein.“ Und sie freut sich, wenn ihre Fotografien ab einer bestimmten Größe, wie sie sagt, „etwas Malerisches bekommen“ – eben keine fotografischen Dokumente, vielmehr „fotografische Bilder“, von denen Lehmann-Brauns vier eigens vor einer dunklen Wand arrangiert hat – für sie der Teil der Ausstellung, mit dem sie besonders zufrieden ist.

All das hat Folgen für die Titel: Die Aufnahme einer halb verdeckten, durch den Spalt zwischen zwei roten Vorhängen fotografierten Tür erhält da konsequent keinen den Ort lokalisierbaren Namen, sondern heißt schlicht „Durchsicht“. Und ein wie hin- und hergerückt wirkendes, aber wohl ebenfalls zufälliges, so vorgefundenes Arrangement aus Tisch, Stuhl und Vorhang wird nur ein schlichtes „Stuhl“ zugestanden. Als Dokumentation trubeligen Theaterlebens ist das wenig brauchbar, als ein Stillleben, von dessen nahem, mittlerweile vollzogenem Ende man weiß, besitzt es aber hohen ästhetischen Reiz.

„Letzter Vorhang“, Kommunale Galerie Berlin

Gayle Tufts, Entertainerin

Ich liebe die Arbeit von Anna Lehmann-Brauns.

Ich war so froh, als ich gehört habe, dass Anna dieses Projekt im Theater am Kurfürstendamm und Komödie am Kurfürstendamm machen würde, because she sees The Big Picture.

I had the grosse Ehre, die letzte Künstlerin zu sein, die auf der Bühne des Theater am Kurfürstendamm gespielt hat. Als ich zum ersten Mal hinter die Bühne kam, habe ich jahrzehnte Berliner Theaterluft geschnuppert und jahrelange Geschichte gespürt. I was in Entertainerin-Himmel! Berthold Brecht hatte hier Mahaghonny  uraufgeführt! It was the home of Max Reinhardt, who understood the Serious Business of gute Unterhaltung. Ich war mir sicher, dass ich nach der Vorstellung Harald Juncke auf mindestens eine Erdbeerbowle im Foyer treffen würde. Und ich schwöre, dass Brigitte Mira als Schutzengel in meiner Garderobe lebte.

Anna Lehmann-Brauns versteht das. Sie ist eine mutige Entdeckerin an diesen Orten, die nur wenigen zugänglich sind. Sie ist eine Storytellerin. Sie zeigt uns Geschichte und Abenteuer in leeren Räume. Aber sind die Räume überhaupt leer? Anna sees the ghosts and dreams and Freude und Zweifel und Leidenschaft und Liebesaffären und Schweiß und Blut und Tränen und Glitzer und Flüchtigkeit und Abschied in diesen „leeren“ Räumen. Und sie spürt das Echo von neverending Arbeit, die im Theater, in jedem Bühnenbrett, jedem Probenstuhl, und jedem Lichtkabel steckt.

Die Theaterwissenschaftlerin Miriam Dreysse hat in Anna’s Arbeit Memory and Melancholy – Errinnerung und Melancholie gesehen. Ich sehe das und auch Humor. Ein menschlicher, lebensfröhlicher Blick in die Realität: Hier war etwas, hier ist ist etwas passiert. Ich bin so dankbar, dass Anna da war – als Zeugin and Chronistin dieser Orte. Weil years from now junge Theatermacher werden sie bewundern und fragen : How could they let that go?

Besonders in diesen crazy Wochen, in unserer prekären Welt, wo Reality in Frage gestellt wird, bin ich unendlich dankbar für die Realität, Menschlichkeit und Schönheit, die Anna uns zeigt.

Und ihr könnt einen Teil davon haben: Es gibt einen Limited Edition Print für nur €150 Euro.

Ich erzähle eine kleine Geschichte zu diesem Print. Am Tag der offenen Tür strömten tausende Berlinerinnen und Berliner in beide Theater. Nach dem besonderen Bühnenprogramm zum Abschied, gab es eine Tanzparty auf der Bühne. Lutz Gajewski, der Anna die Idee vorgeschlagen hatte, in den Häusern zu fotografieren, war der DJ. Um halb eins kam Katherina Thalbach nach ihrer Vorstellung vom Raub der Sabinerinnen in der Komödie zu Lutz und fragte, ob er das Lied „Cant’ Stop Me Now“ von Queen hätte.Sie nahm sich ein Mikrophon und sagte, dass sie zum letzten Mal die Drehbühne benutzen wollte. Wer will, solle sich draufstellen . Die Techniker starteten die Drehbühne, der DJ den Song. Ca. 400 Menschen sangen und strahlten bis auf dem Höhepunkt goldene Glitzerstreifen von der Decke regneten. Auf youtube gibt es ein Video davon.
Am nächsten morgen um 10 kam Anna in den  Raum und machte dieses Foto.

 

 

 

„Wild Side West“, Haus am Kleistpark

Matthias Harder, Kurator

Viele Fotografen interessieren sich für Menschen, ihre Gesichter und Mimik, ihre Körper und Haltungen. Manche Fotografen hingegen spüren eher den menschlichen Spuren nach, gewissermaßen ihrer Abwesenheit in leeren Räumen. Beide Herangehensweisen erfordern ein großes emotionales Gespür, Anna Lehmann Brauns gelingt Letzteres immer wieder neu. In ihrer aktuellen Serie entführt sie uns in einen Mikrokosmos alternativer Lebensformen in San Franzisco, konkret in die dortigen Schwulen- und Lesbenclubs, vor allem im legendären Castro-Viertel. Wir sehen allerdings – wie auch sonst in ihrem Werk – weder die Clubbesitzer und Angestellten noch die Gäste. Wir blicken stattdessen auf leere Bühnen und Barhocker, auf ungenutzte Billardtische und Kinosessel. Alles ist menschengemacht und für Menschen gedacht, doch diese bevölkern die Szenerie immer erst etwas später. Nicht alle von uns sind sicherlich in der Lage, die Unterschiede zwischen den Clubs zu erkennen, etwa zwischen Schwulen- oder Transgenderbars, und die entsprechenden Codes richtig zu lesen. Durch die englischsprachigen Schilder können wir die Räume zumindest in den anglo-amerikanischen Sprachraum verorten. Ansonsten könnten diese Kneipen überall sein, und vielleicht auch Heteros offenstehen.

Interessant sind die liebevollen Details in den verwaisten Innenräumen, die durch die Aufnahmen erst sichtbar zu werden scheinen. Anna Lehmann Brauns interessiert sich grundsätzlich in ihrem Werk für Farben und Oberflächen, für Zeichen und deren mögliche Bedeutungen. Ihr fotografischer Ansatz kommt einer systematischen Untersuchung gleich, einer ästhetischen und gesellschaftlichen Studie. Ihre Bilder sind pur und real, und doch ist diese Art von künstlerischer Dokumentation rätselhaft genug, als dass uns die Bildinhalte und Details über einen längeren Zeitraum sonderbar fesseln.

Die Räume könnten auch Filmkulissen sein; etwas Ähnliches findet sich ja bereits in ihrem früheren Werk, etwa Räume, die als Filmstudios für soap operas genutzt werden. Es ist stets eine Art Kippeffekt in ihren Fotografien spürbar, das Dargestellte kann völlig authentisch sein oder auch etwas ganz Anderes.

Anna Lehmann Brauns zeigt uns reale Kulissen und eine kulissenhafte Realität zugleich – und lässt unseren Assoziationen und Imaginationen viel Freiraum. Es geht im Medium Film und manchmal auch in der Fotografie bekanntlich um Illusionen und Projektionen.

Das gilt auch für die neue Serie von Anna Lehmann-Brauns: Wild Side West, benannt nach eine Lesbenbar in San Franzisco – die Stadt gilt als Mekka der Homosexuellenbewegung, nicht allein durch die legendäre Figur des Harvey Milk, des ersten bekennenden schwulen Politikers in den USA; seine Lebensgeschichte wurde später auch mit Sean Penn verfilmt. Milk wurde 1978 ermordet, und die milde Bestrafung des Täters führte zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Harvey Milk lebte im Castro-Viertel, und dort war Anna Lehmann Brauns mit ihrer Familie während ihres mehrmonatigen Aufenthaltes auch zufälligerweise zunächst untergekommen. Überall hängen dort Regenbogenfahnen, es gibt HIV Beratungsstellen, zahlreiche Läden für Sexspielzeug und entsprechende Bars. Noch in den 1970er-Jahren waren sexuelle Handlungen zwischen zwei Homosexuellen in den meisten amerikanischen Staaten verboten – und sie wurden häufig auch angezeigt und verfolgt. Man konnte beispielsweise seine Wohnung verlieren, und so zogen es viele vor, etwa Sex nachts im Park zu praktizieren – oder in Gay-Clubs. In San Franzisco konzentrierten sie sich schließlich vor allem im Castro-Viertel.

Die sexuelle Orientierung funktioniert als Persönlichkeitscharakteristikum für viele wie die Religion – unabhängig und jenseits nationaler Grenzen oder beruflicher Identitäten. Schwule, Lesben und Transgender konnten sich jahrhundertelang nicht öffentlich bekennen, und können es in manchen Ländern bis heute nicht, sie wurden verfolgt und getötet. Doch in San Franzisco ist zumindest in den entsprechenden Clubs eine gewisse Sicherheit und Unbeschwertheit der LGBT-Szene möglich – und diese Toleranz und Gleichberechtigung existiert noch immer, trotz Donald Trump, der auch schon mal als keynote-speaker bei LGBT-Gegenveranstaltungen aufgetreten ist. Manche Drag-Queen-Auftritte im „Divas“, „The Stud“ oder „Oasis“ gleichen wiederum polemisch-politischen Büttenreden, die auf die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA reagieren und entsprechend opponieren.

Anna Lehmann Brauns ging häufig vormittags in die Clubs, während ein Putztrupp durch die Räume fegte. Das musste natürlich entsprechend in überzeugenden Gesprächen mit den Barbesitzern anhand von Arbeitsproben vorbereit werden.

Nur gelegentlich sehen wir auf ihren Fotografien durch Fenster eindringendes Tageslicht, meist sind die Räume allein durch künstliches Licht illuminiert. Das schwache, gelegentlich auch schummerige Licht vor Ort erforderte eine lange Belichtung mit ihrer Mittelformatkamera, und so scheinen sich auch verschiedene Zeitschichten und Geschichten auf das finale Bild zu verdichten. Sie öffnet uns hier die Türen zu einer meist verborgenen, gelegentlich etwas klaustrophobischen Welt, ihr Blick ist prinzipiell neugierig, mitunter voyeuristisch. Gleichzeitig bleibt sie so zurückhaltend wie möglich – und bewahrt, ja beschwört in ihren Bildern den unnachahmlichen Zauber eines Ortes. Es geht ihr in dieser Serie nicht um die Club-Besucher, um deren Sex oder deren mögliche Ausschweifungen, sondern auch hier um die funktionslose Schönheit eines besonderen Innenraumes und um die geheimnisvolle Ruhe einer Zwischensituation. Sie schildert nicht nur einen Zustand, sie verwandelt leere Räume in Schaukästen. Mit „Wild Side West“ erzählt sie uns wieder eine besondere Geschichte; manchmal stellt sie visuelle Fragen, und wir müssen die Antworten in unserer Rezeption geben. Denn das Interessante sind schließlich die Bilder in unseren Köpfen, die unweigerlich folgen, und das wird von der Künstlerin natürlich gleich mitgedacht.